Die Zahl ist weg. Die Krise ist noch da.
»Verrechnet«, in: DIE ZEIT vom 27. Juni 2013, S. 19
[28. Juni 2013] Sie wurde viel zitiert, musste als Totschlägerargument für so manches Sparprogramm herhalten. Wurde von Politikern ebenso gerne angeführt wie von den großen Köpfen der Finanzszene. Und war dann plötzlich weg. Die Rogoffsche 90-Prozent-Schwelle der Staatsverschuldung.
Die kritische 90-Prozent-Schwelle der Staatsverschuldung
Sie war die praktische Anwort auf eine zentrale Frage, nicht nur in der Finanzkrise: Wie viel Verschuldung verträgt ein Staat?
Kenneth Rogoff und Carmen Reinhardt suchten sieben Jahre lang nach der Antwort. Sammelten Wirtschaftsdaten aus rund achthundert Jahren und 66 Ländern. Rechneten hin, rechneten her. Suchten nach Mustern. Und fanden eines. Eine Schwelle, ab der der Schuldengrad eines Staates kritisch wird. Übersteigt die Verschuldung einer Volkswirtschaft 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, dann schadet das dem Wirtschaftswachstum, so das Ergebnis der beiden Ökonomen.
Griffiges Argument in Zeiten der Finanzkrise
Das Ergebnis kam zur rechten Zeit. Die Studie (Growth in a Time of Debt, dt. Wachstum in einer Zeit der Verschuldung) erschien im Mai 2010 im American Economic Review, als es in Griechenland bereits gewaltig kriselte. Nun hatte man endlich ein fassbares Argument im Kampf gegen die Verschuldung. Die 90-Prozent-Schwelle wurde von vielen dankbar aufgenommen – von Wolfgang Schäuble über den damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet bis hin zu Investmentgrößen wie PIMCO.
Doch: Ein Student rechnet nach und entdeckt Fehler
Wissenschaftliches Ergebnis ist wissenschaftliches Ergebnis. Wer hat schon die Zeit, ein solches nachzurechnen? Ein amerikanischer Student: Um nachvollziehen zu können, wie wirtschaftswissenschaftliche Studienergebnisse zustande kommen, bekommt Thomas Herndon von seinem Professor im September 2012 die Aufgabe, ein solches nachzurechnen. Herndon widmet sich den Studienergebnissen von Growth in a Time of Debt über mehrere Monate. Er rechnet und rechnet, kommt aber nicht auf das gewünschte Ergebnis. Schließlich wendet er sich an die beiden Autoren der Studie und erhält zwei Monate später weiteres Material. Er rechnete wieder. Und findet Fehler. Am Ende stellt sich heraus: Es gibt sie nicht, die 90-Prozent-Schwelle. Der Sachverhalt liegt um einiges komplizierter.
Die Essenz der Geschichte? Excel ist knifflig. Irren ist menschlich. Und: Für Griechenland kommt die Erkenntnis leider zu spät.
Wissenschaft und die Medien
Die Zeit hat in ihrer aktuellen Printausgabe einen Hintergrundartikel zur Rogoff-Studie veröffentlicht, den ich mit Spannung gelesen habe. Und dieser hat für mich EINES wieder einmal verdeutlicht: Mit der Wissenschaft verhält es sich wie mit den Medien. Sie hilft dabei, unseren Wissensdurst zu stillen, Wahrheiten ans Licht zu bringen und erleichtert im besten Fall unser Leben. Doch welche der unzähligen Ergebnisse an die Öffentlichkeit dringen und welche den Elfenbeinturm nie verlassen, ist oft eine Frage höherer Interessen – politischer wie finanzieller. Oder eine Frage des Zufalls.
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Beitragsbild: »Notbremse« (c) Rike / pixelio.de
Die 90-Prozent-Schwelle galt als der Punkt, an dem eine Volkswirtschaft die Schuldennotbremse ziehen muss.
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